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Zum Alltag unserer Schule gehören die Kollegschafe. Schüler, die neu ans Kolleg kommen, haben oft schon von ihnen gehört.Schüler und Kollegiaten, die die Schule bereits lange verlassen haben, fragen, wenn sie sich beispielsweise zu Klassentreffen in Laubach wieder zusammenfinden, „gibt es die Schafe noch?“ Die Antwort „ja“ erstaunt und beruhigt zugleich. Ausgerechnet die Schafe sind ein lebendiger Verbindungsfaden in die eigene manchmal mehr als 20 Jahre zurückreichende Lebensphase am Laubach-Kolleg, die viele Ehemalige als für ihr weiteres Leben prägend erfahren haben. Dabei ist das Auftreten dieser Tiere denkbar unspektakulär. Sie beweiden nach wie vor als „ökologische Rasenmäher“ die Grünflächen rund um die Schule im Kreislauf der Jahreszeiten. Dem Austrieb auf die frischen Weiden im Frühjahr mit Ausbrüchen über die von Menschen gesetzten Begrenzungen durch Weidezäune auf der Suche nach noch besserem Futter folgt die ruhigere Sommersaison auf meist satten Wiesen. |
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Kritischer wird es wieder im Herbst, wenn es erneut zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Herde und Hirten kommt. Diesmal geht es um die letzten Leckerbissen, die sich nach Ansicht der Tiere wieder außerhalb der Zäune befinden. Wenn dann Frost und Schnee die Weiden unattraktiv machen, ist die beste Futterquelle die Heuraufe im Stall. Es kehrt Ruhe ein. Diesem Rhythmus haben sich die Betreuer anzupassen.Die regelmäßig anfallenden Arbeiten von Fütterung und Pflege, Klauen schneiden, Gesundheitsvorsorge und gegebenenfalls Behandlung, Umweiden im Sommer, Reparaturmaßnahmen an Zäunen und Unterständen, sind kein Gegenstand von Diskussionen, sondern erfordern absolute Verlässlichkeit, Regelmäßigkeit und Bereitschaft, im Notfall jederzeit ein- und zuzuspringen – keine Kompetenzen, die zur Erlangung einer Siegerehrung taugen. Nahezu rekordverdächtig hingegen ist die Dauer dieses ungewöhnlichen Schulprojekts der Schafhaltung: Ohne Unterbrechung haben zehn Generationen von Schülern und Kollegiaten als Betreuer den Schafen Zeit und Zuwendung gewidmet, begleitet von den wohlwollenden Blicken und verantwortungsvoller Aufmerksamkeit von Mitschülern, Mitarbeitern, Kollegen und Schulleitung. Schafe, deren Intelligenz im Allgemeinen nicht als gymnasialreif eingeschätzt wird, verbinden die Schulgemeinde eines Oberstufenkollegs. Was als Geheimnis erscheinen mag, entschlüsselt sich bei näherer Betrachtung als recht einfach. Die Gruppe, die sich in der Schaf-AG zusammengefunden hat, mag als Beispiel dienen. Die Kommunikation zwischen Mensch und Tier fördert die Kommunikation untereinander. Schüler der verschiedenen Jahrgangsstufen lernen sich hier kennen, tauschen Erfahrungen aus, helfen sich gegenseitig und schließen Freundschaften. Die Betreuer lernen auf die Bedürfnisse der Tiere zu achten: lautstarke Hektik führt zur Flucht, Ruhe und freundliches Zugehen auf die Tiere schafft Vertrauen und Zutraulichkeit- eine Voraussetzung, um ein Tier beispielweise im Krankheitsfall behandeln zu können. So unterschiedlich wie bei Menschen sind auch die Charaktere der einzelnen Tiere, die als Herde dennoch ein starkes Zugehörigkeitsgefühl besitzen. Von den Betreuern sind andere Kompetenzen gefragt als im
schulischen Alltag. Das wirkt sich auch aus auf das Verhältnis von Schülern und Lehrer, die in der Schaf-AG zusammenarbeiten, was sich umgekehrt auch im Unterricht widerspiegelt. Schüler werden im Vertrauen auf ihre Fähigkeiten, die sie oft neu entdecken, selbstbewusster dem Lehrer gegenüber, umgekehrt nimmt der Lehrer Schüler in ihrer Persönlichkeit umfassender wahr, als dies im Fachunterricht möglich ist. Trotz der unterschiedlichen Rollen, die Schule als Institution vorgibt, begegnen sich Lehrer und Schüler leichter auf Augenhöhe im Dialog und lernen voneinander. Auch den Schafen sei Dank für diese Form des Miteinanders am Laubach-Kolleg.
Dr. Brigitte Wiegand |
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