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Das Laubach-Kolleg lag einfach näher: Von Schotten nach Laubach sind es nur 13 km durch den Wald, keine Staugefahr, allenfalls Wildwechsel – eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität im Vergleich zur Fahrt nach Frankfurt – jeden Morgen Verkehrsstau, das zerrt an den Nerven. Daher bewarb ich mich, als ich von der bevorstehenden Vakanz am Laubach-Kolleg erfuhr, und wurde nach Gesprächen mit der Schulleitung am Kolleg und den Vertretern des Schulreferats bei der Kirchenleitung in Darmstadt auch tatsächlich genommen.
Über das Laubach-Kolleg wusste ich wenig. Kleiner als das Heinrich-von-Gagern-Gymnasium in Frankfurt, an dem ich die zweite Phase meiner Lehrerausbildung absolviert, das zweite Staatsexamen abgelegt und mehrere Jahre unterrichtet hatte, kirchliche Trägerschaft, zweiter Bildungsweg: Auf die Herausforderungen war ich gespannt.
In Laubach durfte ich gleich eine elfte Klasse in Deutsch unterrichten; in Frankfurt hatte ich nur Latein- und Griechisch-Unterricht erteilt. Auch mit der Abiturprüfung, die damals noch zweimal im Jahr stattfand, wurde ich bei der nächsten Gelegenheit konfrontiert. Zusätzlich wurde ich von Anfang an als Lateinlehrer an die Laubacher Gesamtschule abgeordnet. Es gab so viel zu tun, dass ich mich an meine damalige Seelenlage nicht mehr erinnern kann.
Wie sehr ich mich dem Laubach-Kolleg verbunden fühlte, merkte ich erst, als eine Entscheidung anstand: Meine Frau trat 1998 eine Stelle als Lehrerin in ihrer Heimatstadt Schlitz an, und da wir damals eine kleine Tochter hatten, war schnell entschieden, dass wir umziehen würden. Ich musste nicht lange überlegen: lieber die täglichen Fahrten von Schlitz nach Laubach und zurück als an eine andere Schule wechseln: Das Laubach-Kolleg hatte mich mit seiner Atmosphäre in seinen Bann geschlagen! Auch wenn man mir anfangs sagte, dass ich das höchstens zwei Jahre lang durchhalten würde – inzwischen habe ich den Äquator mehrmals umrundet!
Wenn ich auf meine Tätigkeit am Laubach-Kolleg zurückblicke, dann ist im Vergleich der Situation 1988 mit der heutigen besonders die Entwicklung im Bereich des altsprachlichen Unterrichts hervorzuheben, der heute ein Nischendasein führt. Das hängt mit dem Rückgang der Studierendenzahlen zusammen, der auch nicht dadurch aufgehalten werden konnte, dass die Verpflichtung für die Kollegiaten, Latein zu lernen, inzwischen aufgehoben worden ist. Dieser Rückgang ist die zweite merkliche Veränderung – mit atmosphärischen Wirkungen: das Laubach-Kolleg im Jahr 2010 wird trotz seines Modellstatus wesentlich durch die Schülerinnen und Schüler geprägt.
Dass heute mehr als 300 Schülerinnen und Schüler und Kollegiaten in guter Qualität unterrichtet werden können, obwohl das Kolleg wiederholt in seinem Bestand gefährdet schien, beweist die Flexibilität und Bereitschaft von Schulträgerin, Schulleitung und Kollegium, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Und dass die Alten Sprachen als „Orchideen“ auf gutem Nährboden weiter gedeihen dürfen, ist ein wichtiger Beitrag zur Bildungskultur im ländlichen Raum.
Am Laubach-Kolleg durfte und darf ich als Mitglied der Schulgruppe zur Bearbeitung des Prüfauftrags der Kirchenleitung, in der Steuergruppe zur Schulprogrammarbeit und als Mitglied der erweiterten Schulleitung Verantwortung übernehmen und mit gestalten. Dass eine solche Mitwirkung nach dem Maß des persönlichen Einsatzes möglich ist und spürbar wird, erscheint mir persönlich wertvoll und bereichernd, aber auch wichtig für die weitere Entwicklung des Kollegs.
Ein letzter Gedanke betrifft das oft – auch von mir – gesuchte evangelische Profil des Laubach-Kollegs, seine Atmosphäre. Lange habe ich erwartet, dass die Kirchenleitung hier konkrete Vorgaben machen würde, um zu verdeutlichen, was sie von ihrer Schule erwartet. Im Laufe der Jahre ist mir klar geworden, dass es sich damit ähnlich verhält wie mit Kafkas Kreisel: Das evangelische Profil, das in der Atmosphäre am Laubach-Kolleg spürbar, fast schon greifbar ist, kann nicht abstrakt als Vorgabe oder Regelsystem formuliert werden; es kann nur in der lebendigen Gestaltung durch Schulleitung, Kollegium und Schülerschaft existieren, im respektvollen Umgang miteinander, in dem der Einzelne als authentische Persönlichkeit wahr- und angenommen wird.
Dr.Martin Henniges |
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