Erwartungen/Wirklichkeit

 

Erwartungen

Als ich  im Frühjahr 1985 von der Ausschreibung des Laubach-Kollegs (Landesbeamtenstelle, ab 1.08.1985; Fächer: Deutsch und Französisch) Kenntnis bekam, war ich noch Referendar am Ev. Gymnasium in Siegen. Ich hatte eigentlich keine Lust, mich zu bewerben, denn ich vermutete, dass es sich um eine Scheinausschreibung handelte (wahrscheinlich war die Stelle schon lange besetzt und musste ausgeschrieben werden – ich kannte das von der Universität); um mir aber im Nachhinein keine Vorwürfe machen zu müssen (man kann ja nie wissen!), schickte ich meine Bewerbungsunterlagen – und siehe da, schon drei Tage später erfolgte ein Anruf mit der Einladung, ich möge mich bitte vorstellen.
Wo war Laubach und was war das Laubach-Kolleg? Glücklicherweise hatte Herr Ochel, der Direktor meiner Ausbildungsschule, einen Jahresbericht, sodass ich einen ersten Einblick bekam – und der war sehr positiv: evangelische Trägerschaft, nur Oberstufe, KollegiatInnen (die kannte ich schon aus meiner Dozentenzeit an der Universität Bonn, denn die gehörten immer zu den besten und fleißigsten Studenten). Außerdem vermutete ich die gleiche christliche Atmosphäre wie im „Ev.“: höflicher Umgang miteinander, gegenseitige Achtung, überdurchschnittlicher Einsatz der LehrerInnen für die SchülerInnen und natürlich geistliches Leben in Form von Gottesdiensten, Andachten usw.
Sehr erwartungsvoll also fuhr ich im April 1985 nach Laubach (über das Städtchen hatte ich mich inzwischen auch informiert und war vor allem begierig, die berühmte Bibliothek zu sehen) und wurde sehr freundlich aufgenommen. Den Direktor, Herrn Rodenhausen, hatte ich bisher noch nicht kennen gelernt, aber als ein großer, etwas gebückter Mann im weißen Kittel das Lehrerzimmer betrat - eine wirkliche Persönlichkeit -, wusste ich: Das ist er – es war auf beiden Seiten sozusagen Liebe auf den ersten Blick. Am Vormittag habe ich hospitiert, am Nachmittag folgte das Bewerbungsgespräch in einer sehr angenehmen Atmosphäre. Danach wusste ich: Das ist meine Wunschschule, wenn man mich nimmt, bleibe ich hier bis zum Ende meines Dienstes. Ich wurde genommen, und so konnte ich leichten Herzens alle Angebote aus NRW ausschlagen.


Wirklichkeit

Ich habe seither meine Entscheidung für das Laubach-Kolleg keinen Moment bereut und kann wohl sagen, dass diese Schule ein Teil meines Lebensglücks geworden ist.
In diesem Zusammenhang muss ich zuerst an die Kollegiaten denken: Sie hatten es mir besonders angetan. Ich hatte das große Glück, gleich zu Beginn im Fach Deutsch eine Kollegiatenklasse mit sechs(!) TeilnehmerInnen zu bekommen, die das angebotene Wissen begierig aufnahmen und keine Mühe scheuten, ihre Allgemeinbildung zu erweitern. Die schönste Zeit dieses Schuljahres war im Frühjahr 1986 unsere Studienfahrt nach Husum und Umgebung auf den Spuren Th. Storms. Diese Fahrt war nicht nur in Bezug auf Wissen ein großer Erfolg – wir brachten von dort auch die ersten zwei Schafe mit: Damit begann die „Schaf-Ära“ an unserer Schule. – In den ersten Jahren, als es hier noch verhältnismäßig viele Kollegiaten gab, fuhren diese über das Wochenende nicht so häufig nach Hause. Daher trafen wir uns oft am Samstag und machten Ausflüge in die Umgebung – genau so hatte ich mir die Wirklichkeit am Laubach-Kolleg vorgestellt: nicht nur Lehrer sein, sondern auch Betreuer, Ansprechpartner, Kummerkasten – eine Tätigkeit, die ich dann als Studienleiter weiterführen bzw. intensivieren konnte und die einen großen Teil des Studienleiter-Postens ausmacht.
Insgesamt habe ich bis heute das im Laubach-Kolleg genossen, was ich erwartet und dann auch vorgefunden habe: die christliche Atmosphäre, eine ebenso lockere und entspannte  wie konzentrierte und ergebnisorientierte Zusam­men­arbeit und (meistens) Höflichkeit, Freundlichkeit und gegenseitige Achtung.
Natürlich sind mir auch Enttäuschungen  nicht erspart geblieben, aber sie betrafen selten die Schule an sich, sondern fast immer die Behörden.
 Gleich nach der Einstellung ging es los: Die ausgeschriebene Stelle war die eines Landesbeamten, ich war aber kein „Landeskind“ und musste mit einer Angestelltenstelle zufrieden sein – und wurde auf das nächste Schuljahr vertröstet. Als es so weit war, hatte die Landesregierung beschlossen, überhaupt keine beamteten Lehrer mehr einzustellen, und so blieb ich, was ich war. Im nächsten Schuljahr wurde ich Studienleiter und damit Kirchenbeamter, musste mich aber damit abfinden, auf dieser Stelle, die eigentlich nach A15 bezahlt wurde, für eine A12-Entlohnung zu arbeiten. Aber danach ging der Aufstieg ganz schnell und ich konnte mich nicht mehr beklagen.
Zur Wirklichkeit gehört auch, dass die Kultusbehörden immer mehr auf die Lerninhalte Einfluss nahmen und so unsere Freiheit zunehmend beschnitten. Natürlich gab es staatliche Vorgaben, aber dann war der Spielraum doch recht groß. Dieser wurde nach und nach geringer und die Menge des uns aufgezwungenen Stoffes  immer größer; damit wuchs auch der zeitliche Stress: Konnten wir früher in einem Schulhalbjahr in relativer Ruhe den „Faust-Stoff“ behandeln (von der Historia über Marlowe und Goethe bis Th. Mann), scheint es heute nach Ansicht unserer Bildungspolitiker kein Problem zu sein, in einem Semester im Grundkurs Goethes Faust, Kafkas Urteil und Brechts Lyrik zu besprechen – die (wie man früher sagte) „Ehrfurcht vor dem literarischen Kunstwerk“ ist ein Fremdwort geworden. Das Landesabitur hat uns dann unserer (fast) letzten Freiheiten beraubt. Seither hasten wir durch den Stoff – welch eine unverantwortliche Perversion des Gymnasialgedankens! Mit „Bildung“ hat das nichts mehr zu tun!
Mehrere Jahre noch nach meinem Beginn hier gab es am Mittwoch in der zweiten Pause eine zehnminütige Andacht. Ich gebe zu, dass sie nicht immer gut besucht war und die Zahlen insgesamt zurückgingen, aber dass es  ausgerechnet unsere Theologie-Lehrer waren, die  ihre Abschaffung betrieben und dann auch durchsetzten, war für die EKHN ein großes Ärgernis und für mich eine riesige Enttäuschung.


Ein ebenfalls enttäuschendes Thema war der Französisch-LK: In meiner Ausbildungsschule waren diese Kurse relativ groß, und auch im Laubach-Kolleg umfassten sie in den ersten Jahren ca. zwölf TeilnehmerInnen. Doch in den Folgejahren schlug die allgemeine Krise des Französisch-Unterrichts auch auf unseren Unterricht durch: Ebenso wie in Frankreich das Interesse an der deutschen Sprache und Literatur stark abnahm, stellte sich auch in Deutschland ein Desinteresse am Fach Französisch ein. So bedeuteten mir die SchülerInnen  schon gleich in der ersten Sitzung, wie froh sie doch seien, das ungeliebte Fach endlich nach der Klasse 11 abgeben zu können. In den letzten Jahren, so mein Eindruck, scheint aber eine gewisse ‚Renaissance‘ eingesetzt zu haben: Französisch wird nach der Klasse 10 nicht mehr so häufig abgewählt, und der jetzige Grundkurs umfasst beachtliche 21 TeilnehmerInnen.     
Es wäre noch viel von der Wirklichkeit zu berichten, von realisierten und enttäuschten Erwartungen, von Höhen und Tiefen – aber in welchem Beruf gibt es sie nicht? –, insgesamt jedoch ist die Bilanz nach bald 26 Dienstjahren am Laubach-Kolleg sehr positiv: Wenn ich noch einmal wählen könnte – ich würde das Laubach-Kolleg wählen!   

 

Dr. Rainer Lüddecke

 
     
 

 

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