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Auf der Homepage des Laubach-Kollegs berichtet Jan Henning Müller detailliert und sehr anschaulich über den Vortrag der Zeitzeugin Edith Erbrich am 7. November vor ca. 100 Schülerinnen und Schülern des Abiturjahrgangs (Den Bericht finden Sie hier). Edith Erbrich, geboren 1937, spricht über ihre Kindheit in Frankfurt während des Krieges und die Zeit vom Februar 1945 bis Kriegsende im KZ Theresienstadt – Auschwitz war damals bereits von der Roten Armee befreit!
Wer ist diese Frau und was bewegt sie, besonders vor jungen Leuten über ihre Erlebnisse als Kind einer jüdisch-christlichen „Mischehe“ in der Zeit des Nationalsozialismus zu sprechen?
Wir lernen uns zwei Tage vor der Veranstaltung durch ein Telefonat kennen. Ein eindeutig „frankfurter Zungenschlag“, der Stimme nach zu urteilen eine mit beiden Füßen fest auf der Erde stehende sympathische Frau. Persönlich begegnen wir uns einen Tag später. Gemeinsames Kaffeetrinken, eine Abendveranstaltung der Friedenskooperative Laubach-Grünberg-Mücke im evangelischen Gemeindehaus in Laubach vor sehr aufmerksamen, nachdenklichen und zumeist älteren Zuhörern. Wir trennen uns in dem Gefühl, uns schon seit Jahren zu kennen. Am nächsten Vormittag dann der Vortrag im Kolleg und das anschließende Gespräch mit Schülerinnen und Schülern. Edith Erbrich, heute 76 Jahre alt, nimmt ihre Zuhörer mit hinein in die Kindheit des siebenjährigen Mädchens. Sie spricht über die Gefühle des Kindes, die Ausgrenzung der Familie aus der Gesellschaft, den Verlust von Freundinnen, die ständige Angst, die Eltern abends nicht wiederzusehen, die Bombennächte, das Erlebnis verschüttet und gerettet zu werden. Am 14. Februar 1945, dem Tag der Deportation nach Theresienstadt, hält sie sich auf dem Weg zur Großmarkthalle an der Mutter fest, versucht, sich deren Gesicht fest einzuprägen, um es nicht zu vergessen. |
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Der Vater und die Schwestern werden deportiert (vier Tage Fahrt, eingepfercht in einen Viehwaggon), die Mutter muss zurückbleiben. Hatte sie vorher wie die übrige Familie den Judenstern tragen müssen und sich trotz mehrwöchiger Beugehaft geweigert, sich von ihrem jüdischen Mann scheiden zu lassen, so ist sie jetzt wieder Katholikin. Der Vater lässt während der Fahrt mit Datum und Uhrzeit versehene Postkarten, die er in den Waggon geschmuggelt hat, durch die Bodenspalten des Wagens fallen. Sie kommen alle in Frankfurt an - für Edith Erbrich noch heute der wertvollste Besitz. Immer wieder spricht sie von den „stillen Helfern“, die es der Familie ermöglicht haben zu überleben und bis auf den Großvater, der nach drei Tagen im Lager „verstorben“ ist, nach dem Krieg in Frankfurt wieder zusammenzufinden. Schon als Kind muss sie klar empfunden haben, was sie heute rational klar auf den Punkt bringt: die Entwürdigung von Menschen, Gewalt und Vertuschung. Ziel der Deportation hieß Arbeitseinsatz. Bereits bei der Abfahrt in Frankfurt war in den Begleitpapieren der 9. Mai als Termin der Vergasung in Auschwitz vorgesehen. Die offizielle Sterbeurkunde des Großvaters, die sie viele Jahre später erhielt, beinhaltete Diagnosen so vieler Krankheiten, „wie sie ein Mensch in drei Tagen unmöglich bekommen kann.“ Sie kann nicht verstehen, dass die Herren vom Internationalen Roten Kreuz, die das Lager besuchten, nicht bemerkt haben sollen, dass die Kinder, die an weiß gedeckten Tischen die ihnen angebotene Süßigkeiten mit der Begründung, sie bekämen diese jeden Tag, ablehnten, halb verhungert waren. Sie hat bei späteren Besuchen in Theresienstadt die Vergasungskammer gefunden, die es offiziell nie gegeben hat, getarnt als Lebensmittellager. Sie forscht weiter und findet in Theresienstadt noch immer neue Details. Mit ihrer vier Jahre älteren Schwester tauscht sie sich über die Erlebnisse im KZ aus. Gespräche mit den Eltern waren nicht möglich. Auf Nachfragen pflegte der Vater zu antworten: „Kind, lass es ruhen.“ Edith Erbrich spricht auch immer wieder von den unbekannten Menschen, die den Mut besessen haben, der Familie zu helfen, obwohl sie damit möglicherweise ihr eigenes Leben riskierten. Einen Mut, von dem sie nicht weiß, ob sie ihn heute hätte. Auf die Frage einer Schülerin, ob sie heute ein normales Leben führe, antwortet sie: Ja, sie lebe ein normales Leben und könne sich freuen. Dass sie besonders vor jungen Menschen über ihre Erlebnisse spreche, sei auch ihr Dank an die „stillen Helfer.“
Dr. Brigitte Wiegand |
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LAUBACH
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